Freiheit für die Stimme!

Veröffentlicht am 16. März 2020 von Verena Arnold

 

Frank Vöhringer, eingebürgerter Schweizer mit deutschem Migrationshintergrund, ist erst auf dem zweiten Bildungsweg Stimmbildner und Gesangslehrer mit dem Besuch unzähliger Stimmbildungsworkshops und Gesangsstunden bei ungefähr 20 unterschiedlichen Lehrer im Verlauf von mittlerweile 30 Jahren geworden. Irgendwann kam der Entscheid, sich selbständig zu machen. Hierfür gründete Frank Vöhringer die Gesangsschule «Stimmfreiheit» in Mühlethurnen. In den ersten Jahren des Gesangsunterrichts ging es ihm vor allem darum, die Methoden weiterzugeben, die auf der Basis neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse entstanden sind.

Zur Leidenschaft wurde sein neuer Beruf besonders durch Begegnungen mit Menschen am Roy Hart Centre im französischen Malérargues. Durch diese Begegnungen hat Frank Vöhringer erkannt, dass Stimmarbeit ein Schlüssel zur eigenen Persönlichkeit ist. Dem Gesangslehrer wurde dadurch plötzlich bewusst, dass durch den Unterricht nicht nur die Stimme, sondern auch das Innere und die Kreativität wachsen können. Die Arbeit mit der Stimme ist für ihn erst durch diese Erkenntnis so wichtig geworden – so sehr, dass er die Erfahrungen, Inspirationsquellen und Techniken anderen so intensiv wie möglich weitergeben möchte.

Frank Vöhringer erteilt Einzelstunden und Intensivkurse. Grundidee von «Stimmfreiheit» ist es, den Schülern und Schülerinnen vollständige Freiheit anzubieten. Das gilt schon für das Vertragliche: So gibt es bei ihm keine Abonnements mit einer Mindestanzahl an Stunden, auch keinen verpflichtenden Rhythmus in der Abfolge der Stunden. In der Erwachsenenbildung ist die Motivation der Sängerin oder des Sängers das Allerwichtigste. Also richtet Frank Vöhringer den Inhalt, aber auch das Drumherum an dieser Motivation aus.

 

Unser Interviewpartner Frank Vöhringer ist Gesanglehrer von Beruf

 

Frank, du bietest Stimmbildung und Gesangsunterricht für alle Zwecke und Stilrichtungen an. Seit wann beschäftigst du dich mit Gesang?

Mit neun Jahren bin ich von einer Freundin in den Kinderchor mitgenommen worden. Seitdem habe ich in unzähligen Bands und Chören gesungen – von Oratorien bis Funkrock war so ziemlich alles dabei. Gesangsunterricht hatte ich erst mit ungefähr 20 Jahren. Sogar noch viel später: Mit Anfang 30 habe ich begonnen mich für die Stimmbildung zu begeistern und darin ernsthaft fortzubilden. Das ist jetzt fast 20 Jahre her und die Faszination für die Stimme hat mich seitdem nicht mehr losgelassen.

 

Was macht dir im Unterricht mit deinen Schülern besonders Spass?

Es macht immer viel Spass in entspannter Stimmung gemeinsam zu arbeiten. Zum Glück bringt Hektik im Gesangsunterricht rein gar nichts. Man kann Dinge nicht erzwingen, nur in Ruhe konzentriert an ihnen arbeiten. Es gibt auch viel zu lachen, denn manche Übungen wirken – so sinnvoll sie sein mögen – im ersten Moment etwas albern. Und dann gibt es immer wieder wunderschöne Momente: Wenn eine Stimme sich ganz öffnet, eine Schwingung leicht und anrührend wird. Oder sich die emotionale Bedeutung einer Liedzeile offenbart. Besonders glücklich bin ich, wenn eine Schülerin oder ein Schüler durch die Arbeit an Stimme und Gesang aufblüht, sich persönlich entwickelt, mit sich ins Reine kommt, sich mehr zeigen kann und das im Auftritt sichtbar wird.

 

Was macht dich als Gesangslehrer aus?

Mir ist wichtig, dass sich der Schüler oder die Schülerin wohlfühlt und sich ganz unbekümmert mit mir austauschen kann. Dazu soll mit der Zeit eine Vertrauensbasis entstehen. Ich glaube, dass ich das sehr freundlich, unterstützend und humorvoll angehe und gut auf die verschiedenen Ziele und Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler eingehe. Das ist jedenfalls meine Idee davon, wie es laufen soll. Ich kann auf viele Situationen flexibel und kreativ reagieren – obwohl ich jede Stunde gründlich vor- und nachbereite, arbeite ich oft intuitiv aus dem Augenblick heraus. Es geht eben immer um das, was gerade passiert, und nicht um einen vorher genau festgelegten Lehrplan. Im Zentrum des Unterrichts stehen die Erfahrungen und die Wünsche der Schülerin oder des Schülers. Nur so kann sich die Stimme behutsam entwickeln. Deshalb lege ich auch niemanden auf einen bestimmten Musikstil oder einen bestimmten Klang fest. Das ist eine der vielen Bedeutungen von «Stimmfreiheit».

 

Vertrittst du die Meinung, dass jeder Mensch singen kann? 

In der Schweiz wurde früher vielen in der Schule gesagt, sie könnten nicht singen. Nach solchen Erniedrigungen sind viele Singstimmen fürs Leben verstummt. Was für ein Verlust! Ein Gesangslehrer trägt Verantwortung, weil die Stimme etwas sehr persönliches ist und wir deshalb beim Thema Singen verletzlich sind. Darum gilt es den Sänger oder die Sängerin zu unterstützen und zu ermutigen, die eigene Stimme zu offenbaren im Sinne von «Was du da von dir zeigst, ist wunderschön!» Manchmal braucht es dazu ein bisschen emotionale Befreiung, manchmal eine intensive Gehörbildung – aber ja, jeder Mensch kann singen.

 

Welche verschiedenen Gesangstechniken gibt es?

Oh, es gibt sehr viele Techniken! Und es ist viel Bewegung drin. Die wichtigste Entwicklung ist vielleicht, dass sich die Wissenschaft der Stimme und der Stimmdidaktik angenommen hat. Die Erkenntnisse haben die Stimmbildung in den letzten Jahrzehnten revolutioniert. Viele Inhalte, die früher selbstverständlich zum Kanon des Gesangsunterrichts gehörten – zum Beispiel Atemstütze und Gähnstellung – werden durch Sinnvolleres und Stimmschonenderes ersetzt – jedenfalls bei einer langsam wachsenden Anzahl von Gesangslehrern. Ich habe viele Schülerinnen und Schüler, die vorher traditionellen Gesangsunterricht hatten und jetzt davon begeistert sind, wie viel leichter und besser es sich mit den neuen Methoden singt. Die Weiterbildung ist für Gesangslehrer deshalb mindestens so wichtig wie in anderen Berufen. Nur so bekommt man neue Anregungen und kann den Unterricht zum Beispiel auf den aktuellen Erkenntnissen der Stimmphysiologie und Stimmdidaktik aufbauen.

 

Wie läuft eine Gesangsstunde ab?

Zu Beginn frage ich immer, ob beim Üben Fragen entstanden sind. Gleichzeitig mache ich mir ein Bild vom momentanen Befinden des Schülers oder der Schülerin. Oft braucht es anfangs etwas körperliche Aktivierung oder Stressabbau. Die Stimme gehört dabei möglichst schon dazu. Manche können sie improvisierend laufen lassen, andere brauchen konkretere Anleitungen. Ich versuche auf die verschiedenen Lerntypen bestmöglich einzugehen und so verlaufen die Gesangsstunden, je nach Schüler und aktuellem Inhalt sehr unterschiedlich. Arbeitsschwerpunkte bei den Stimmbildungsübungen können zum Beispiel sein die Wahrnehmung der Stimmgebung im Kehlkopf, das Hören und Erleben des Klangs, die Artikulation, die Erweiterung des Stimmumfangs oder die Verbindung der Stimmregister. Die Stimmübungen sind musikalisch einfach gehalten. Letztlich geht es aber darum, das Erlernte auch im Stück umsetzen zu können und dieses musikalisch und sängerisch zu gestalten. Deshalb gehört das Erarbeiten eines Gesangsstücks jedweden Stils, mit oder ohne Mikro, in aller Regel auch zur Gesangsstunde.

 

Und welche verschiedenen Stücke werden in den Stunden verarbeitet?

Am besten ist es, wenn die Sängerin oder der Sänger selbst Stücke mitbringt, die ihr oder ihm viel bedeuten. Der Unterricht ist für alle Stilrichtungen. Manchmal gebe ich aber auch Anregungen, etwas Neues auszuprobieren. In jedem Fall gilt aber: Sänger und Sängerinnen müssen sich mit dem Stück identifizieren können, sonst sucht man sich besser ein anderes.

 

Unterrichtest du auch Kinder oder fokussierst du dich hauptsächlich auf den Unterricht mit Erwachsenen?

Ich unterrichte Jugendliche und Erwachsene.

 

Welche Instrumente nutzt du, um die Sänger in den Unterrichtsstunden zu begleiten? 

Das Klavier, sehr selten die Akustikgitarre. Wenn mit Mikro gesungen wird, kommen manchmal auch Playbacks zum Einsatz.

 

Welche Utensilien dürfen bei einer Gesangsstunde keinesfalls fehlen? 

Es geht auch völlig ohne Utensilien. Das ist ja das Schöne am Singen! Man braucht eigentlich nur einen Raum, der genügend Schutz vor Neugierigen bietet und gross genug ist, dass man sich frei bewegen kann.

 

Was gehört zu deiner Grundausstattung als Gesangslehrer?

Ein grosser Übungsraum, ein E-Piano, eine Gesangsanlage mit Mikros, Yogamatten für Übungen am Boden, anatomische Zeichnungen, ein kleiner Spiegel für Artikulationsübungen – das ist eigentlich schon alles.

 

Welche Ratschläge gibst du Anfängern, die eine Probelektion bei dir buchen und sich zum ersten Mal am professionellen Gesang versuchen? 

Man kann sich auf die erste Stunde – und eigentlich auch auf alle weiteren – mit viel Offenheit einlassen. Man hat keinerlei Druck zu performen, weil das Lernen in der Stimmbildung vor allem darauf abzielt, die Wahrnehmung für den eigenen Körper, die eigene Stimme und die eigenen Empfindungen weiterzuentwickeln.

 

Was sollte man beim Singen grundsätzlich beachten?

Es kann uns sehr im Weg stehen, schön singen zu wollen. Besser ist es, sich sensibel auf das einzulassen, was gerade ist. Am besten spürt man, hört intensiv zu und lässt den Klang entstehen, statt einen bestimmten Klang erzeugen zu wollen. Überhaupt ist es ganz entscheidend, Druck rauszunehmen – sowohl den Erwartungsdruck als auch ganz wörtlich den Luftdruck, mit dem viele Sänger und Sängerinnen beim Gesang von unten auf den Kehlkopf einwirken. Um wachsen zu können und flexibel zu sein, braucht die Stimme einen entspannten, leichten und ausbalancierten Zugang. Dazu brauchen wir innere Ruhe und eine intensive Präsenz. Gleichzeitig muss der Körper durchlässig und beweglich sein. Man hat schon viel erreicht, wenn man beim Singen entspannt und beweglich ist.

 

Professionalität geht vor

Der Proberaum liegt zwischen Bern und Thun in Mühlethurnen im Gürbetal. Nachdem Frank Vöhringer schon vor 15 Jahren damit anfing, nebenberuflich Gesangsunterricht zu geben, hat er sein Stimmbildungsangebot 2016 professionalisiert, sprich mit Firma, Raum, Website, Logo. Und so hat er einen 40 Quadratmeter grossen Raum zum Proberaum mit geeigneter Akustik, mit der notwendigen Ausrüstung und vor allem mit viel Platz für Bewegung ausgebaut. Zur Professionalität gehören für Frank Vöhringer regelmässige Fortbildungen.